In Bayern seit Jahren erprobt und stetig weiterentwickelt, wird ab dieser Saison 2024/25 deutschlandweit "Minifußball" gespielt. Im Interview erklärt Verbands-Jugendleiter Florian Weißmann, warum Deutschland im Vergleich mit führenden Fußballnationen mit Einführung der neuen Spielformen im Kinderfußball beileibe keinen Sonderweg geht, sondern vielmehr mit dem bisher gängigen Ligensystem allein auf weiter Flur stand – und gibt einen Ausblick darauf, was der Minifußball für die Talentförderung, aber vor allem für den klassischen Amateurfußball, bedeutet, in dem in erster Linie der Spaß am Spiel und die Begeisterung für den Fußball im Fokus stehen sollte.
Außerdem verrät der 44 Jahre alte Markt Schwabener, der beim Bayerischen Fußball-Verband (BFV) seit 2018 für den Jugendfußball verantwortlich zeichnet, was es mit dem neuen Pilotprojekt „Playing Down“ auf sich hat.
Lange erprobt, jetzt Pflicht: Wie blickst du der ersten deutschlandweiten "Minifußball-Saison" entgegen?
Florian Weißmann: Absolut optimistisch und überzeugt! Das Thema Minifußball ist bei uns in Bayern ja nicht so neu wie in anderen Landesverbänden. Wir haben schon vor einigen Jahren bei den Kleinsten auf Basis der Entwicklungen und Erfahrungen aus anderen Ländern und auch unter Einbeziehung der Wissenschaft Varianten als Pilotprojekte ausprobiert und weiterentwickelt, aus denen jetzt die aktuell gültigen Spielformen geworden sind. Das fing ja schon 2013 mit der Fairplay-Liga an, wesentliche Aspekte der aktuellen Spielformen steckten in FUNino, das wir 2015 erstmals ausprobiert haben – vor neun Jahren! Wir sind also wirklich sehr gut aufgestellt. Der große Aufschrei, den mancher vielleicht befürchtet oder sogar prognostiziert hat, ist ausgeblieben. Und die Kritik vor allem im vergangenen Frühjahr – zum Teil von prominenten Gesichtern – hat sich als übertrieben und oft unbegründet herausgestellt und ist weitestgehend verpufft, weil sie den guten Argumenten für die Einführung der neuen Spielformen nicht ansatzweise standhalten konnte. Wir setzen uns glücklicherweise mittlerweile wieder fachlich mit dem Kinderfußball auseinander, denn klar ist: Keine Lösung ist perfekt! Wir wollen uns immer verbessern und weiterentwickeln. Das kam mir zuletzt ein wenig zu kurz!
Inwiefern?
Weißmann: Ganz ehrlich – auch wenn das jetzt etwas pauschal oder polemisch klingt: Wir müssen uns mal von der Denke verabschieden, immer alles besser zu wissen als andere. Also zum Beispiel als die Verantwortlichen in anderen Fußballnationen. Wir bestaunen seit Jahren, dass in Frankreich scheinbar die Ausnahmetalente auf Bäumen wachsen, erfreuen uns immer wieder an brasilianischen Top-Technikern oder merken, dass in England nach einer gefühlten Ewigkeit leicht auszurechnendem Kick-and-Rush in den letzten Jahren eine titelreife Nationalmannschaft herangewachsen ist. Das kommt ja alles nicht von Ungefähr. Klar ist aber auch: Wir wollen und wollten nie aus unseren bayerischen Toptalenten Brasilianer, Franzosen oder Engländer machen. Aber das, was in anderen Nationen offensichtlich richtig gemacht wird, sollte man sich anschauen und dann entscheiden, welche Konzepte wir in unsere Talentförderung einbauen und mit unserer extrem leistungsstarken Vereinsstruktur umsetzen können. Nichts anderes haben wir in Bayern in den vergangenen Jahren gemacht und wir sind auch durchaus stolz, quasi von Beginn an daran mitgearbeitet zu haben. Wir haben vieles in Bayern und auf DFB-Ebene vorangetrieben.
Was sind denn konkrete Beispiele für das "besser wissen oder anders machen"?
Weißmann: Da gibt es doch ganz viele. Sagen wir mal so: Wir bewegen uns in der Regel bei unseren Ideen immer in einer "Bubble", wie es mittlerweile so schön heißt. Das ist nicht verwerflich und auch normal. Nur bekommt man dann eben auch eine eingeschränkte Sicht auf die Dinge. In Bezug auf den Minifußball reden wir hier auf einmal über diesen komischen neuen Sonderweg mit Kleinfeld, vier Minitoren und dann ist auch noch der Meisterschaftsgedanke weg – wohlgemerkt bei den Kleinsten, von denen wir, also Trainer oder Eltern, fälschlicherweise glauben, dass es für sie wichtiger ist, eine Meisterschaft zu gewinnen, als den nächsten Zweikampf oder dass ihnen zum ersten Mal der Rabona-Trick gelingt. Und bei dem Ganzen sehen wir überhaupt nicht, dass wir – auf Europa oder andere Fußballnationen bezogen – mit unseren bisherigen Spielformen und unseren Ligen eigentlich seit Jahren allein auf weiter Flur stehen und nicht jetzt mit den neuen Spielformen einen Sonderweg beschreiten. Unser Ligensystem und unsere Meisterschaften im Kinderfußball gibt es so in England, Spanien oder Frankreich gar nicht. In England gibt es in dem Alter schlichtweg kein Meisterschaftssystem, in Frankreich gibt es nur Fußballfestivals und die Spanier spielen Futsal und kleine Spielformen. Gleichzeitig wird gemeckert, dass bei uns zu wenig Talente den Weg in die Spitze schaffen – ohne zu hinterfragen, ob das vielleicht auch an unserem System liegen könnte. Und solche Themen gibt es einige. Ich könnte jetzt auch noch darauf eingehen, dass einige gerne davon reden, dass der Fußball doch einfach bleiben muss. Diese Leute sollten sich dann mal mit Spielanalysten darüber unterhalten, was den Fußball für Kinder kompliziert macht. Das ist in erster Linie die Fülle an Spiel- und Bewegungsoptionen in einer Spielsituation. Man muss kein Mathe-Genie sein, um zu verstehen, dass sich ein Kind in einer konkreten Spielsituation in einem 7-gegen-7 mit einem Vielfachen an Spiel- und Bewegungsoptionen auseinandersetzen muss, als in einem 3-gegen-3 oder 4-gegen-4 – in der gleichen Zeit wohlgemerkt. Das will erstmal gelernt sein. Fakt ist: Für die Kleinsten – und um die geht es ja die ganze Zeit – wird der Fußball in den kleinen Spielformen einfacher und damit auch einfacher erlernbar. Aber da geht es dann jetzt vielleicht auch zu sehr ins Detail.
Du hast den Weg der Talente angesprochen. Geht es denn darum, mehr Talente in die Spitze zu bringen?
Weißmann: Selbstverständlich geht es auch darum, wieder mehr Talente in die Spitze zu bringen. Wer soll denn künftig die Titel, die wir uns alle wünschen, nach Deutschland holen, wenn nicht die Talente von heute? Je mehr es davon gibt und je besser sie ausgebildet sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit für den sportlichen Erfolg, das ist doch klar. Es geht aber genauso darum, die Breite zu sichern. Wo spielt die Masse denn Fußball? Im Profi- oder im Amateurfußball? Die Frage stellt sich doch gar nicht. Und im Amateurfußball heißt die Währung Begeisterung! Und das fängt bei den Kleinsten an. Und wie begeistere ich sie? Sie müssen spielen, spielen, spielen und ganz viele persönliche Fußballerlebnisse einsammeln: positive und ja, auch Misserfolge, denen sie sich stellen und an denen sie wachsen können. Auch da kommt wieder die "Bubble" zum Tragen. Aus Vereinssicht ist für viele ein Kind, das aufhört, ein Mitglied weniger. Ich sage: Das sind mit den Eltern oder sogar den Großeltern drei, vier potenzielle Mitglieder und auch potenzielle Trainer- und Betreuerinnen weniger. Wenn man dann auch noch berücksichtigt, dass wir hier von Jahren reden, die ein Kind Fußball im Verein spielt oder nicht, wird einem klar, über welches Potenzial für die Vereine wir da reden.
Es ist doch aber auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Organisation der Kinderfußball-Festivals für die Vereine eine große Herausforderung ist, oder nicht?
Weißmann: Für die, die es zum ersten Mal machen: ja! Aber in erster Linie, weil es neu ist. Fakt ist doch: Wir haben diesen Spielbetrieb ja schon längst flächendeckend in Bayern und es funktioniert gut. Probleme gibt es vor allem dort, wo vor allem Erwachsene glauben zu wissen, was Kinder wollen oder was ihnen wichtig ist. Wenn kein Minitor da ist, tun es für Kinder auch zwei Stangen oder Hütchen und ob das Tor einen halben Meter weiter links im Feld steht, spielt für sie keine Rolle. Ob ein Kleinfeldtor mit einer professionellen Plane abgehängt ist, oder nur ein Seil irgendwie die Oberkannte markiert, ist den Kindern salopp gesagt wurscht. Da will ich allen einfach wirklich nur Mut machen: Nicht nur in den persönlichen Bolzplatz-Erinnerungen schwelgen, sondern auch den eigenen Kindern dieses schöne, freie Fußballspielen gewähren. Bei den neuen Spielformen kann man wenig bis gar nichts falsch machen, solange am Ende alle Kinder ganz viel gespielt haben! Das ist ja auch so ein Punkt, der von vielen nicht gesehen wird: Nach so einem Festival im Champions League-Modus hat jedes einzelne Kind deutlich mehr Spielzeit gehabt, als in der gleichen Zeit bei einem klassischen Kleinfeld-Turnier. Dann sich bitte mal fragen: Welche Spielform würde das eigene Kind oder die eigene Mannschaft denn wählen?
Durchaus provokativ!
Weißmann: Überhaupt nicht! Wir wissen doch, was in den Vereinen geleistet wird und wie viel Herzblut viele Menschen seit vielen Jahren investieren – und das in ihrer Freizeit. Das ist gigantisch! Auch die Eltern leisten vielerorts Herausragendes. Wir haben auch bei allen lokalen Besonderheiten und auch Problemen eine unfassbar gute Fußballvereins- und Infrastruktur. Wir wünschen uns nur, dass wir den Blick wieder mehr auf das Wesentliche und die Kinder richten und bereit sind zu akzeptieren, dass die Fußballleidenschaft der Kinder, die auf dem Platz stehen, noch die gleiche ist wie vor 30 oder 50 Jahren, sich aber die Rahmenbedingungen massiv verändert haben. Und unser Job als Eltern, Trainer, Vorstand und auch meiner als Verbands-Jugendleiter ist es, dass wir nicht verharren in unserer "Bubble" und der Denke, dass alles gut war, wie es ist. Jemand, der so denkt, muss mir dann bitte erklären, wo die ganzen Diskussionen herkommen, wie schlimm es doch alles zu sein scheint. Das Gute ist ja: Wir wissen mit Blick auf ganz Bayern, dass die Saison 2024/25 mit den neuen Spielformen grundsätzlich sehr gut funktionieren wird. Weil der Weg der richtige ist und die absolute Mehrheit dazu bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Dafür möchte ich mich auch mal an dieser Stelle ganz herzlich bedanken! Und alle Kritiker lade ich ein, mitzukommen, sich mit den neuen Spielformen wirklich auseinanderzusetzen und sich konstruktiv einzubringen, statt einfach irgendwas rauszuhauen. Das hatten wir schon genug. Und Kritik ist ja nicht falsch. Sie ist für jeden Entwicklungsprozess wichtig.
Wohin geht denn die Reise weiter, oder ist jetzt erstmal Reform-Pause?
Weißmann: Reform-Pause ist nie! Das mag wie eine Drohung klingen, aber ist ja nur dem Fakt geschuldet, dass sich eben die Rahmenbedingen und Anforderungen permanent ändern. Nur die nötigen Schritte fallen da mal größer und mal kleiner aus. Zur neuen Saison im Jugendfußball gibt es beispielsweise auch unser Pilotprojekt zum "Playing Down".
Was heißt das?
Weißmann: Da geht es darum, dass belastbare Studien gezeigt haben, dass im Fußball „biologisch jüngere“ Kinder – früher hätte man eher gesagt schmächtigere Kinder – in ihren regulären Altersklassen, also entsprechend ihres Geburtsdatums, nachweislich häufiger Nachteile haben. Sie bekommen beispielsweise weniger Spielzeit, weil sie vielleicht körperlich unterlegen sind, werden seltener Auswahlspieler und so weiter. Das gilt natürlich nicht für jeden, aber die Nachteile sind auf die Masse der Kinder bezogen grundsätzlich messbar. Und in einem Pilotprojekt mit dem Deutschen Fußball-Bund und der Uni Tübingen, ist es in Bayern ab sofort möglich, dass Kinder einzelner Jahrgänge und nach Bestimmung ihres biologischen Alters temporär in einer jüngeren Altersklasse spielen dürfen. Da gibt es ganz klare Kriterien: Es geht aktuell nur um die Jahrgänge 2009 und 2011. Zur Bestimmung des biologischen Alters gibt es Messverfahren, die Eltern zuhause durchführen können und die von zugelassenen Ärzten und Physiotherapeuten in Bayern dann verifiziert werden müssen. Sind dann tatsächlich die Voraussetzungen für einen Antrag erfüllt, geht dieser an den BFV und dann wird entschieden. So ein Spielrecht gilt aber auch nur für eine Saisonhälfte. Dann muss wieder geprüft werden, ob die Voraussetzungen immer noch erfüllt sind.
Wie häufig wird das der Fall sein?
Weißmann: Ohne vorgreifen zu wollen: selten! Wir reden von zwei Jahrgängen und das Gros in diesen Jahrgängen wird naturgemäß durchschnittlich Plus/Minus entwickelt sein. Das Sonderspielrecht greift erst, wenn das biologische Alter mehr als ein Jahr jünger ist. Und auch dann ergibt es Sinn, auf das einzelne Talent zu schauen. Denn wir wissen ja auch, dass es nicht für jeden betroffenen Jugendlichen ein Problem ist, "schmächtiger" zu sein. Aber wissenschaftlich bewiesen eben für einige. Und damit beschäftigen wir uns eben in dem Pilotprojekt – weil wir über den Tellerrand hinausschauen. So, wie wir es vor gut zehn Jahren auch mit dem Kinderfußball gemacht haben.
Gibt es für dich noch einen Wunsch oder Tipp für die Jugendfußball-Saison 2024/25?
Weißmann: Natürlich sollen alle Kinder, Jugendlichen und sonstige Beteiligten in erster Linie gesund durch die Saison kommen und mit viel Spaß dabei sein und auch bleiben. Ich habe aber in der Tat einen konkreten Wunsch oder Tipp für alle im Verein engagierten und eventuell auch die Eltern der Nachwuchskicker: Nutzt die Möglichkeit und macht eine der in ganz Bayern angebotenen Schulung zum Kindertrainer bzw. zur Kindertrainerin. Nach dem Feedback, das ich bekomme, kann ich sagen: Jeder erhält wertvolle und praxisnahe Informationen für ein modernes kindgerechtes Training.