Im Oktober 2013 hat für die Schiedsrichter in Deutschland eine neue Ära begonnen. Ganz unbemerkt, wie auf Indianersohlen schleichend, kam die gravierendste Änderung in der Struktur des DFB. Fast schon unheimlich, wenn man dem Glauben schenkt, was man an der Basis der deutschen Schiedsrichter über diese Modifizierung zu hören bekommt – nämlich nichts.
Das Ziel dieser neu eingeschlagenen Reise, die Schwierigkeiten und Herausforderungen kennt kein anderer in Deutschland besser als der Stargast der Monatsversammlung im Oktober 2014, Helmut Geyer.
Geyer, seines Zeichens Vorsitzender der Schiedsrichter-Kommission-Amateure und zugleich Obmann des Süddeutschen Fußball-Verbandes, nahm uns mit auf einen intimen Einblick hinter die Kulissen des DFB und seiner Schiedsrichter-Gremien.
Und wo ginge das besser als bei den Aktiven, für die er selbst federführend zuständig ist. An der Basis. Dort, wo für die kommenden Profischiedsrichter alles beginnt.
Genau dort war Helmut Geyer zuletzt zu Gast. Zum offenen Dialog bei den Augsburger Schiedsrichtern. Bei einem Teil seiner 75.000 Schiedsrichter stand er Rede und Antwort. Und das nicht zu kurz. Und insbesondere nicht zu bedeckt.
So erfuhren die Schiedsrichter in der gekonnt geführten Podiumsdiskussion allerhand Privates von dem 61 -jährigen Immobilienbanker aus dem Schwabenländle.
Doch ganz von vorn. Der festlich anmutende Saal im alevitischen Kulturzentrum füllt sich trotz des bescheidenen Wetters mit 200 Schiedsrichtern. Zur Monatsversammlung der Schiedsrichtergruppe Augsburg steht ja ein weiterer Hochkaräter aus dem Deutschen Fußballwesen auf dem Abendprogramm.
Thomas Färber hat in seiner neuen Funktion als Obmann den zweiten herausragenden Gastreferenten zum Abschluss seines ersten Kalenderjahres eingeladen.
Und diesem Ruf ist der dreifache Familienvater „selbstverständlich" gefolgt. Den Weg nach Augsburg kennt er nur all zu gut. Seitdem der FC Augsburg erstklassig ist, ist auch Geyer hin und wieder mal im Stadion. Jedoch nicht wie die meisten im Saal als Zuschauer, sondern als Aktiver. Er beobachtet nämlich neben seinen Tätigkeiten als Funktionär auch noch in der Bundesliga.
Und das Woche für Woche, zusätzlich zu seinem Vollzeitjob bei der Sparkasse in Fellbach.
Diese Energie, sich immer wieder aufzuraffen und nahezu seine gesamte Freizeit für das Hobby aufzuopfern, entspricht vermutlich ein wenig dem Motto seiner Heimat: „Schaffa, schaffa, Häusle baua!"
Genau diese hundertprozentige Aufopferungsbereitschaft, diese Leidenschaft, dieses Feuer, das in seinen Augen glüht, wenn er von Einsätzen als Beobachter oder den vielfältigen Tätigkeiten als Funktionär spricht, teilen die meisten Anwesenden mit ihm. Das ist es, was alle verbindet, egal ob B-Klasse oder Bundesliga.
Somit war es ein leichtes für ihn sowie den gekonnt durch das Gespräch führenden Georg Schalk, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Die Anwesenden hingen an den Lippen des Gastreferenten und warteten gespannt auf die Einblicke ins Profigeschäft. Und natürlich auf die Möglichkeit, eigene Fragen stellen zu dürfen.
Dem bodenständigen Württemberger gefällt beispielsweise besonders gut die „exzellente Stimmung" im Augsburger Stadion. Zugleich betonter er jedoch, dass dieser Spielort für das Schiedsrichtergespann unten auf dem grünen Rasen sehr anspruchsvoll ist.
Um den Aktiven auf dem Platz die Arbeit ein Stück weit zu erleichtern, hat der DFB-Präsident vor kurzem den Gedanken in den Raum geworfen, die Zehn-Minuten-Zeitstrafe wieder einzuführen.
Den älteren Kameraden im Raum kommt diese Regel noch bekannt vor, die junge Fraktion schaute sich irritiert an. Doch um die Diskussion direkt im Keim zu ersticken, fügte Geyer hinzu, dass das Rad aufgrund unterschiedlichster Sichtweisen in den Regionalverbänden und den Ausschüssen des DFB wohl nicht zurückgedreht wird.
Doch neben den Gedankenspielen des Präsidenten erfuhren die Augsburger Referees im kurzen, aber knackigen „Frage-Antwort-Spiel" einiges über den Schweinebraten- und Knödelfan, der am liebsten im roten BMW zu vielfältiger Musik zu den Spielorten in Deutschland reist.
Dabei freut er sich ganz besonders, wenn er den in seinen Augen momentan besten Schiedsrichter der Bundesliga beobachten darf, den WM-Teilnehmer Felix Brych.
Jedoch schätzt er das Niveau der deutschen Schiedsrichter insgesamt „sehr, sehr hoch" ein' was insbesondere auch ein Verdienst des Vorsitzenden des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses, Herbert Fandel, ist.
Das Freistoßspray, das bei der WM seine große internationale Premiere hatte und nun auch in der Bundesliga Einzug gehalten hat, begrüßt er mittlerweile nach anfänglichen Zweifeln. Sehr eloquent, überlegt und durchaus schnell beantwortete Helmut Geyer die auf ihn einprasselnden Fragen von Georg Schalk. Im Gegensatz zu Helene Fischer blieb er in der Augsburger Oktobernacht nie atemlos. Ihre Musik findet er, wie die deutsche Nationalmannschaft, trotzdem „toll". Mittlerweile wohl eine Art Virus beim DFB, jedoch ein äußerst positiver.
Bei den Schiedsrichtern wurden in den vergangenen Jahren immer massivere Unterschiede festgestellt. Die logische Schlussfolgerung daraus war die beim Bundestag Ende Oktober 2013 beschlossene Modifizierung der Struktur des Schiedsrichter-Wesens. Was nun klingt wie eine hochkomplizierte Dissertation eines Wirtschaftsstudenten ist in einfachen Worten ausgedrückt die Trennung zwischen Profis und Amateuren.
Dieser Schritt war laut Geyer notwendig, um die Aufgaben klar festzulegen. So kümmert sich die Kommission der Elite allein um das Tagesgeschäft Bundesliga bis 3. Liga, er selbst mit seinen Mitstreitern um die Belange der Schiedsrichter im Amateurbereich. Zu diesen Mitstreitern zählen unter anderem aus Bayern das VSA-Mitglied Josef Maier sowie Bundesliga-Beobachter Hans Scheuerer. Zusammen werden Themen wie die Aus- und Weiterbildung mit E-Learning diskutiert oder nach einer Lösung gesucht, wie die aktuellen Regionalliga-Schiedsrichter nicht vom Bildschirm der Elite-Kommission verschwinden.
Neben den Informationen zu den Kommissionen des DFB gab er auch seinen Standpunkt zu den in den Medien heiß diskutiertesten Themen wieder. So ist der „reine Profi-Schiedsrichter aus seiner Sicht nicht notwendig", da er zum einen bereits vorhanden sei, zum anderen viele der Bundesliga-Referees über ein zweites Standbein sehr froh seien.
Das Beenden der eigenen Schiedsrichterkarriere sieht er bei vielen Kollegen und Kolleginnen oft als eine, auch logische, Schlussfolgerung von gewalttätlichen Angriffen auf dem Sportplatz. Daran will er mit den Schiedsrichtern durch bessere Schulungen arbeiten. Hierbei stehen die Zuschauer ebenso in der Pflicht, sagte er. Deshalb appellierte er an die Besucher auf den Sportplätzen, Zivilcourage zu zeigen.
Diejenigen, die es dann bis ganz nach oben geschafft haben und sich nicht unterkriegen ließen, müssen nun in den nächsten Jahren an die gewaltige Aufgabe Bundesliga herangeführt werden, um die Lücke zu schließen, die von den etlichen, routinierten und altgedienten Bundesliga-Schiedsrichtern hinterlassen wird.
In diesem Zusammenhang stellt er sich ganz bewusst gegen den vor kurzem auftretenden Vorschlag der FIFA, die Altersgrenze anzuheben. Dadurch „nimmt man den jungen, aufstrebenden Schiedsrichtern jegliche Perspektive", so Geyer.
Genau das ist es, was ihn wie keinen anderen verfolgt. Diejenigen unter den 75.000 Schiedsrichtern in 21 Landesverbänden bundesweit zu fordern und zu fördern, welche in zehn, zwölf Jahren an die Tür der Bundesliga anklopfen. Und auch hier trifft sein Motto wieder zu: „Schaffa, schaffa, Häusle baua." Er schafft das Fundament für die Zukunft der deutschen Profi-Schiedsrichter.
Text: Florian Ertl
Dieser Artikel erschien erstmals in der Zirbelnussausgabe Nr. 197 (November 2014)