Ich freue mich eigentlich immer auf meine Interviews. Das heutige ist dazu noch eine Premiere und für mich persönlich etwas Besonderes. Ich unterhalte mich zum ersten Mal in dieser Reihe von Gesprächen mit einer jungen Frau, die (zumindest momentan) keine Funktionärin ist; eine interessante Persönlichkeit jedoch allemal! Ihren Namen, Daniela Göttlinger, kenne ich schon sehr lange, weil sie bei der Schiedsrichtergruppe Augsburg mit in der Nachwuchsförderung arbeitete.
Gleich zu Beginn unserer Unterhaltung Verwunderung … Staunen? … Überraschung? Die international tätige Schiedsrichter-Assistentin setzt mitten hinein in einen kurzen Moment der Sammlung meinerseits einen Satz, den ich so nicht erwartet hätte: „Ich wollte eigentlich nie Schiedsrichterin werden!“ Wow!!! Das hätte ich nicht gedacht! Ich bitte natürlich um Aufklärung und da sind wir dann auch schon mittendrin in der Geschichte eines kleinen Mädchens, das einfach Fußball spielen wollte und dem sich durch diesen Wunsch später ein außergewöhnlicher Weg eröffnete. Daniela war sechs, als sie den Fußball entdeckte, ihre Mutter glaubte an „eine Phase“. Daniela lacht: „Eine Phase, die nun schon sehr lange andauert.“ Und so spielte sie Fußball bei ihrem Heimatverein in Adelsried, als es dort keine Mannschaft mehr gab, beim SV Bonstetten und zuletzt in Batzenhofen, wo auch heute noch ihr Spielpass liegt. Mit 15 hatte sie so manche Diskussion mit ihrem Trainer, der (mangels eingeteilter Verbands-Schiedsrichter) ihre Spiele leitete. Daniela war der Meinung, dass dieser als Schiri immer wieder einmal die eigene Mannschaft benachteiligen würde. Und hier beginnt die eigentliche Geschichte der Schiedsrichterin Daniela Göttlinger.
„Ich hatte damals vom eigentlichen Regelwerk nicht viel Ahnung,“ so die mittlerweile 30-Jährige. Und da man „nicht einfach ohne Knowhow kritisieren kann,“ entschloss sie sich, die Schiedsrichterprüfung abzulegen. Die Prioritäten der ehrgeizigen Spielerin lagen aber weiterhin nicht auf dem „Schwerpunkt Schiedsrichterwesen“, denn die schulische Laufbahn mit dem Ziel Abitur und Studium sowie das Hobby Fußballspielen standen zunächst im Mittelpunkt aller Planungen. Doch dann kam Horst Schäfer. Der damalige Lehrwart der SRV Augsburg sprach mit Danielas Eltern und brachte ein nicht zu widerlegendes Argument: „Ob sie jetzt Zeitungen austrägt oder zwei Spiele pfeift, ….“ Dieser Satz wurde zum Meilenstein. Die Eltern ließen sich überzeugen und unterstützten die 15-Jährige durch ihre Zeit und Fahrten zu den Spielorten. Daniela fand Gefallen an dem neuen Job, sah die Aufwandsentschädigung als zusätzliches Taschengeld und fand sich irgendwann im Förderkader der SRV Augsburg wieder. Der Ehrgeiz hatte sie gepackt! Heute ist sie davon überzeugt, dass die anfänglich gute Betreuung in der Gruppe und eine positiv-kritische Beobachtung für junge Schiedsrichter*innen unheimlich wichtig sind.
Die Einsätze in der Kreisliga brachten ein Teamwork mit Assistent*innen mit sich, plötzlich arbeitete man mit anderen zusammen, konnte sich im Team gegenseitig austauschen, unterstützen und weiterhelfen. Das machte Daniela Spaß. Das war auch die Zeit, in der sich bei ihr eine Grundeinstellung bildete: „Man muss sich immer wieder fragen: Wie wirke ich auf dem Platz? Man muss sich selbst reflektieren.“ Zusätzlich muss man sich – und das lernte die Adelsriederin auf schmerzliche Weise – unbedingt die nötigen Pausen erlauben. … Sie schaffte bei einer Leistungsprüfung eine für den Aufstieg im Schiedsrichterwesen notwendige Zeit im Laufen nicht, sie fiel aufgrund dieser Tatsache in der Prüfung durch und konnte nicht höherklassiger als in der Bezirksliga der Männer pfeifen. Für die leistungsorientierte Daniela eine persönliche Niederlage. Zum ersten Mal im Leben hatte sie etwas nicht geschafft. Sie hatte sich als 15-Jährige auf dem Platz durchgesetzt, das persönliche Auftreten, das Standing und die Kooperation mit den Mannschaften hatten gestimmt, und nun behinderte eine „Zeit“ das Fortkommen.
Auch dieses Erlebnis stuft Daniela aus heutiger Sicht als Chance ein. Sie sieht es in Bezug auf die Persönlichkeitsbildung prägend für ihr Leben, weil es ihr zeigte, dass man über Grenzen nicht wegdiskutieren kann, sich Regeln unterwerfen muss um mit dem System im Reinen zu bleiben.
Und noch etwas lernte das hoffnungsvolle Talent: Auch aus Niederlagen ergeben sich Wege! Man muss nicht ständig in der vorprogrammierten Spur bleiben, es öffnen sich auch andere Möglichkeiten, auf die man sich einlassen kann. Daniela hatte wirkliche Freunde um sich, die sie auffingen und stärkten. Eine Bezugsperson, die dafür sorgte, dass Daniela die Situation, in der sie auch ans Aufhören dachte, nicht alleine mit sich ausmachen musste, war Schiedsrichterin und heutiges Mitglied im Verbands-Schiedsrichterausschuss Alessa Plass. „Ali“ hatte den Weitblick für andere Wege. Und die taten sich auf: 2016 wurde Daniela Schiedsrichter-Assistentin beim DFB. Sie assistierte fortan in der Frauen-Bundesliga und bis zur Herren-Regionalliga.
Ein zeitaufwändiges Hobby. Daniela hat Pädagogik studiert und ist nach ihrer exotisch klingenden Ausbildung „Head of Training“ (Trainingsmanager, der Fähigkeiten, Leistungen, Produktivität und Arbeitsqualität von Arbeitnehmern verbessern soll) beim Bezahlsender Sky in München für alle Aus- und Fortbildungen zuständig. Neben dem Home-Office pendelt sie dreimal pro Woche nach München. Ihre Freizeit neben dem Hobby ist knapp bemessen. Ihre Partnerin Alexandra hat sie in der Corona-Zeit kennengelernt und – ich muss schmunzeln – ihr damals immer wieder gesagt: „Soviel Zeit wie jetzt hab‘ ich sonst nicht!“ Für Freitags-Spiele kann Daniela Überstundenausgleich anmelden und ihre Gleitzeit nutzen, für internationale Einsätze muss sie Urlaub nehmen. Es ist also nicht so wie im Herrenbereich, dass sich der Einsatz auch finanziell lohnen würde. Meine augenzwinkernde Frage nach dem geschenkten Kaffeeservice verneint sie lachend.
2022 nahm die Karriere des schwäbischen „Eigengewächses“ so richtig Fahrt auf. Nach dem ersten internationalen Einsatz im Länderspiel Armenien – Albanien, stand sie in Reykjavik ebenfalls in einem WM-Qualifikationsspiel Island – Belarus an der Linie. Es folgten im Mini-Turnier der Qualifikation der U19 für die Europameisterschaft die Partien Kosovo – Gibraltar und Bulgarien – Kosovo. Die Teams, in denen Daniela arbeitet, führten sie mit Angelika Söder (Nürnberg), mit der sie ihren ersten Einsatz hatte und die sie auch beim DFB für internationale Spiele vorgeschlagen hatte, neben weltweiten Engagements auch in die Herren-Regionalliga. Sie arbeitet mit Karonline Wacker aus Baden-Württemberg beim DFB und im internationalen Bereich und mit Elias Tiedeken in der Herren-Regionalliga.
Ich will wissen, ob man nicht manchmal nervös ist, wenn man so hochklassige Partien mitverantworten muss. Daniela erklärt, dass das Warten im Tunnel, die Wirkung der Kulisse, der großen Stadien und der vielen Zuschauer durchaus beeindruckend sind. Doch erstens profitiert man von der vertrauten Atmosphäre im Team und wenn dann der Anpfiff ertönt, findet man zurück zu seinen Wurzeln und macht sein „Business soweit als möglich as usual“.
Ein außergewöhnliches Spiel hatte Daniela allerdings vor circa vier Wochen im Bundesliga-Spitzenspiel der Wolfsburger Frauen gegen den FC Bayern mit Schiedsrichterin Angelika Söder. Die ARD drehte eine Doku über Schiedsrichter - im Fokus standen auch Schiedsrichterinnen - die Mädels wurden vom Ankommen im Stadion bis zum Schlusspfiff verkabelt: „Eine völlig unbekannte Situation, in der du weißt, jede Bewegung, jedes Wort wird aufgezeichnet,“ so Daniela. Doch sogar hier bestätigte der Aufnahmeleiter dem Team am Ende, dass auch bei höchster Konzentration auf dem Platz den Damen der Spaß am Spiel anzumerken sei.
Auf die Frage danach, wie es ist, ein Ziel erreicht zu haben, kommt eine für mich am Ende des Gesprächs nicht überraschende Antwort, die weit entfernt ist vom „Abgehoben Sein“ und Bodenständigkeit beweist: „In erster Linie überwiegt die Freude am Fußball und dann ist man stolz, wenn man das „Immer höher, immer weiter, immer schneller“ für einen Augenblick hinter sich gelassen hat wie zum Beispiel beim „Spiel der Spiele“, dem Pokalfinale 2022 der Frauen in Köln, Wolfsburg gegen Potsdam, zusammen mit Schiedsrichterin Karoline Wacker.“
Und da kommt von Daniela noch ein Satz, der mir eine ideale Abrundung des Interviews liefert: „Wir sind halt schon ein ganz eigener Verein“, und ich ergänze: „Die Liga der außergewöhnlichen Ladys“.