Mit Bochum assoziiert so mancher Zeitgenosse Bergbau, Ruhrpott, Grönemeyer und natürlich VfL. Dort im Revier lebt der Mythos von Kumpel und Maloche. Schlechthin ein Synonym für harte Arbeit und einen hohen Grad an Verlässlichkeit.
Für hartgesottene Fußballromantiker also ein geradezu symbolträchtiger Ort einen bodenständigen Typen wie Georg Schalk zum Ende seiner zwei Jahrzehnte währenden Schiedsrichtertätigkeit in den Profiligen Deutschlands ein letztes Mal auflaufen zu sehen.
Nun also am letzten Spieltag der Saison 2013/2014 um 16.47 Uhr ertönte im Bochumer Ruhrstadion beim Zweitligaspiel des VfL gegen den KSC der definitive Schlusspfiff dieser ausgesprochen erfolgreichen SR-Laufbahn dieses stets zuverlässigen, bescheidenen, unaufgeregten Teamplayers der sich unerlässlich und mit großem Erfolg in den Dienst der Schiedsrichtersache stellte.
Aus der Beletage des Deutschen Fußballs verabschiedete sich Georg freilich bereits zwei Spieltage zuvor. Bei seinem 191.(!) Einsatz als SRA in der höchsten Spielklasse stellte er beim Bundesligakracher Bayer Leverkusen gegen den BVB (SR Günter Perl, SRA Michael Emmer) letztmals und untadelig sein Können an der Linie unter Beweis.
Dass es zum Saisonabschluss für beide Traditionsteams in Bochum von der Papierform her nur noch um die „goldene Ananas" ging tat der Vorbereitung und professionellen Mentalität, so wie man es von Georg nicht anders erwarten durfte, keinen Abbruch. Das war auch gut so. Seine Konzentration war gerade in der Schlussphase wie gehabt gefordert. Dem Ausgleichstreffer der Karlsruher in den letzten Spielminuten musste Assistent Georg wegen Abseitsstellung die Anerkennung verweigern. Das TV lieferte den untrüglichen Beweis. Schorsch, wie ihn seine Freunde rufen, traf auch mit seiner letzten Entscheidung voll ins Schwarze.
Da blitzte sie also letztmals auf, diese Präzision welche ihn über die lange Zugehörigkeit als Assistent in den Profiligen auszeichnete. Seine ausgesprochene Gründlichkeit bei der Abarbeitung von Entscheidungen bzw. der Deutung des Spiels, unter der Fähigkeit sich in die Philosophie der Spielleitung des Teamleaders einzufügen, legten in all den Jahren Bundesliga-SRA-Tätigkeit im Endeffekt den Grundstein seiner bei Schiedsrichtern, Spielern und Offiziellen gleichsam geschätzten Arbeit mit der Fahne.
Spätestens jetzt in den Schlussminuten dieses Zweitligaspiels war wohl auch bei Georg die Versuchung groß seine äußerst erfolgreiche SR-Zeit vor seinem geistigen Auge Revue passieren zu lassen und die letzte Brise Bundesligaluft als Aktiver noch einmal tief einzuatmen.
Daran wagte der fußballbegeisterte Ottmarshauser Bub anno dazumal bei seiner SR-Prüfung beileibe nicht zu denken. Welch großes Stück Arbeit und vor allem Durchhaltevermögen lagen zwischen dem Prüfungstag am 01.02.1984 bis zu diesem finalen Augenblick im Ruhrstadion! Es sind 30 Jahre vergangen auf dem Weg vom 17-jährigen SR-Anwärter zur nunmehr gestandenen Persönlichkeit auf und außerhalb des Platzes.
Talentförderung im Sinne heutiger, moderner Prägung, verbunden mit schnellem Aufstieg in höhere Sphären waren zu seinen Anfangszeiten, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, weniger angesagt. Nicht selten war man als junger Schiedsrichter weitgehend auf sich allein gestellt und das Wort der „klassischen Ochsentour" rückblickend durchaus angebracht.
Georg war aus dem richtigen Holz geschnitzt. Zähigkeit und Zielstrebigkeit zeichneten ihn ebenso aus, wie seine Charakteristik an Rückschlägen nicht zu zerbrechen. Er verstand es vielmehr mustergültig daraus zu lernen, sich gezielt weiter zu bringen die Ruhe zu bewahren und wenn nötig Geduld zu üben.
An ihm und seinen Leistungen führte nach zehn lehrreichen, harten Jahren als Schiedsrichter im Amateurbereich schlussendlich kein Weg mehr vorbei. 1994 klopfte er folglich als SRA ans Tor der 2. Bundesliga.
Musste er dieses Vertrauen in seine erste DFB-Berufung also hart erarbeiten, so war ihm aber auch alleweil bewusst, diese Berufung beständig aufs Neue rechtfertigen zu müssen.
Auch mit mittlerweile 37 Jahren verlor der in der Zwischenzeit schon sehr versierte Assistent der 2. BL und Schiedsrichter in der damaligen dritthöchsten Liga seine Vision, früher oder später in der weltbesten Liga an der Linie zu stehen, nicht aus den Augen.
Es war einmal mehr der damalige Süddt. SR-Obmann, das DFB-SRA-Mitglied Manfred Amerell, welcher ein Gespür für das Entwicklungspotential von Georg bewies. Dem, für SR-Kreise nach heutigen Kriterien doch schon methusalembehafteten Alters von Schorsch zum Trotz, förderte dieser seinen Aufstieg.
Die Gelegenheit zur exklusiven Bekanntgabe der DFB-Nominierung von Georg Schalk zum SRA der Bundesliga ließ sich dann der damalige Verbandsspielleiter Armin Klughammer ihm Rahmen des schwäbischen Bezirkstages nicht nehmen. Gerade erst von der entscheidenden Sitzung aus der DFB-Zentrale in Frankfurt zurückgekehrt blieb es jedoch nicht die einzige „Hammermeldung" des schwäbischen Funktionärs beim Hochtag desschwäbischen Fußballs im Mai 2002. Was Georg aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr zu träumen wagte, trat ein. Seine gezeigten Leistungen überzeugten die Verantwortlichen und öffneten ihm fortan auch das Tor zur 2. Bundesliga, als Schiedsrichter.
Mehr denn je offenbarte sich in den folgenden Jahren die Loyalität und Bodenständigkeit des gereiften Schiedsrichters. Er ruhte sich auf den Lorbeeren keinesfalls aus, bestach weiterhin mit seiner engagierten, motivierten Haltung und zahlte das in ihn gesetzte Vertrauen durch tadellose Leistungen zurück. Seinem SR-Debüt in der 2. Bundesliga bei LR Ahlen : SC Freiburg am 25.08.2002 folgten 72 Spiele in dieser Spielklasse. Auf mehr SR-Einsätze in der 2. Bundesliga brachten es laut „ewiger Tabelle" nur wenige Kollegen seiner Spielklasse.
Highlights waren sicherlich Einsätze in Köln, Mönchengladbach oder das Match auf dem berühmten „Betze“ zwischen dem l. FC Kaiserslautern und St. Pauli. Bei diesem Spiel, sein 50. in der 2. Bundesliga, standen mit Thomas Färber und Lothar Ostheimer zwei weitere Schwaben auf dem Feld. Wie sehr man mit den Leistungen von Schorsch zufrieden war lässt sich an der Tatsache festmachen, dass er vom DFB-SR-Ausschuss erst im „hohen" SR-Alter von 44 Jahren als SR der 2. Bundesliga ausgetauscht wurde.
Unbenommen davon jedoch seine Tätigkeit als SR-Assistent in der Bundesliga. Im Team von Günter Perl avancierte er längst zu einem sicheren Rückhalt im „Haifischbecken" Bundesliga. Seine Leistungen überzeugten die DFB-Oberen und so durfte er seine Erfahrung folglich bis zur DFB-Altersgrenze von 47 Jahren voll einbringen. Eine Leistung, welche unterm Strich per se nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Gelingt es heutzutage doch nur wenigen Sportlern in der Gilde der Top-SR diesen extremen physischen und psychischen Anforderungen und Anspannungen in einer Liga mit einem langjährigen Zuschauerschnitt von über 42.000 bis zum ultimativen Alterslimit von 47 Jahren Stand zu halten.
Wenn ein Assistent 191 Einsätze in der Bundesliga vorweisen kann, alle bedeutenden Stadien der Republik bestens kennt, Top-Referees wie Dr. Markus Merk, Dr. Felix Brych, Herbert Fandel, Wolfgang Stark, Günter Perl oder Knut Kircher, um nur einige zu nennen, unterstützte, fragt man sich unweigerlich, welche Spuren hat er hinterlassen.
Spitzenspiele, Abstiegskämpfe oder höchst brisante Begegnungen wie die Nordderbys HSV — St. Pauli oder Hannover — Braunschweig zieren auf den ersten Blick die Bilanz. Was jedoch weit schwerer wiegt ist der Umstand, all diese Spiele, von den wenigen „branchentypischen Blechschäden" abgesehen, quasi „unfallfrei" und unspektakulär über die Bühne gebracht zu haben.
Da ist er also wieder, der herausragende Charakterzug dieses leistungsbereiten, stets hochkonzentrierten Schiedsrichters: auffallend unauffällig! Sich eben nicht ohne erforderliche Veranlassung in den Mittelpunkt stellen wollen.
Eine Eigenschaft welche sich Georg selbstredend im Zusammenhang mit seiner körperlichen Verfassung buchstäblich zur Maxime erklärte. Er stellte sich gerade als SR nicht auf den Mittelpunkt. Schließlich gibt es für ältere, erfahrene Schiedsrichter, keinen konditionellen Bonus. Das heißt die Bereitschaft und der Wille kontinuierlich und hart zu trainieren um körperlich fit zu bleiben muss unabänderlich gegeben sein. Georg war sich dessen bewusst. Gerade mit zunehmenden Alter müssen Lebensstil und Disziplin professionell stimmig sein. Auf diese Weise ist es ihm gelungen bis zuletzt die Spiele auf hohem Niveau sowie die mehrmaligen jährlichen Leistungstests souverän zu meistern.
Für jeden gestandenen Bundesligaprofi und -SR sind internationale Berufungen die Krönung einer Laufbahn. Eine Reihe internationaler Spielberufungen runden auch Georgs SR-Laufbahn ab. Von seinen Auslandseinsätzen bleibt ihm das entscheidende Spiel in der Ukraine zwischen den dortigen Top-Teams Schachtjor Donezk und Dynamo Kiew (15.07.2007) in besonderer Erinnerung. Für dieses brenzlige Duell wurde eigens das deutsche SR-Team angefordert. Gemeinsam mit dem heutigen schwäbischen SR-Aushängeschild Robert Hartmann stand er dem damaligen FIFA-SR und heutigen DFB-SR-Obmann Herbert Fandel zur Seite.
Mit Georg verlässt ein „Dino" die aktive SR-Bühne im Profibereich. Einer der viel erreicht, Höhen aber auch Tiefen im SR-Wesen miterlebt hat. Unterm Strich mögen es wohl an die 400 Einsätze in den Profiligen geworden sein. Eine beeindruckende Bilanz seiner Beständigkeit. Nachträglich aber auch Indikator für die hundertprozentig richtige Einschätzung und Weitsicht all seiner hier nicht genannten Förderer auf Gruppen-, Bezirks-, Verbands- und DFB-Ebene.
Was kommt danach? Diese Frage stellte sich der soeben abgetretene SR-Kamerad (so hieß das noch zu Anfangszeiten von Georg) wohl auch in der SR-Kabine des Ruhrstadion in Bochum. Zunächst einmal bedankten sich seine langjährigen Teamkollegen Günter Perl und Michael Emmer mit einem 47er SR-Trikot. Ex-FIFA-Referee Hans-Jürgen Weber als eingeteilter SR-Coach zollte dem Jubilar in der Abschlussbesprechung seine Anerkennung und der VfL Bochum, allen voran SR-Betreuer Dieter Hagen und Trainerlegende Peter Neururer bedankten sich bei Georg und überreichten einen signierten Erinnerungswimpel. Besondere Erwähnung, weil nicht selbstverständlich, verdient die angemessene Verabschiedung durch den VfL Bochum bereits vor Anpfiff auf dem Spielfeld.
Spätestens jetzt in den Stadionkatakomben war wohl der Moment gekommen wo Georg einerseits für die Zukunft eine gewisse Leere befürchten würde, andererseits Erleichterung, aber vor allem Zufriedenheit und Dankbarkeit über all das Erreichte verspürte.
Für seine Augsburger SR-Gruppe hat er ein wichtiges Kapitel geschrieben. Seine Bundesligapräsenz wird uns fehlen. Präsentierte der sympathische, kommunikative und stets positiv eingestellte Typ seine Augsburger Schiedsrichter doch in bester Weise.
Dabei zeichnete den SR-Dauerbrenner besonders aus, nie die Bodenhaftung verloren zu haben. Das mag man allein daran ermessen, dass er in all den Jahren als Schiedsrichter im DFB-Bereich mit großer Freude als Ratgeber und Mitstreiter im SR-Ausschuss seinen angemessenen Teil zu einer sehr gedeihlichen und erfolgreichen Entwicklung seiner Heimatgruppe beigetragen hat.
Besonders für die ambitionierten, leistungshungrigen Nachwuchsschiedsrichter in unserer SRG war und ist Schorsch ein echter Glücksfall. Sein Expertenwissen ist für die Fortentwicklung der zahlreichen Talente in der SR-Gruppe ein wahrer Schatz. Seine Ankündigung sich fortan dieser schönen Aufgabe noch intensiver zu widmen sollte jedenfalls für zusätzlichen Ansporn und Motivation innerhalb der nachkommenden SR-Generation Augsburgs sorgen.
Was die berufliche Karriere anbelangt, hat Georg nach fast 30 Jahren bei der Augsburger Allgemeinen, zuletzt als stv. Redaktionsleiter der Günzburger Zeitung, eine neue Herausforderung angepackt. Seit kurzem leitet und verantwortet er das Presse- und Öffentlichkeitsreferat bei einem der größten bayerischen Klinikverbünde, den Bezirkskliniken Schwaben.
Und auch sonst markiert dieser Abschied von der großen Fußballbühne, für Georg eine Zäsur in seinem bisherigen Leben. War eine solch brillante SR-Laufbahn nur mit allerlei Entbehrungen und hohem Zeitaufwand zu meistern, ergeben sich künftig zeitliche Freiräume. Zeit die nun ohne schlechtes Gewissen auch anderweitig, außerhalb der schönsten Nebensache der Welt, verbracht werden darf. Mehr Zeit für seine charmante Lebensgefährtin Ulli, seine Familie aber auch für vernachlässigte Hobbies wie USA-Reisen, Oldtimer oder Karten spielen.
Chapeau Schorsch! Deine Schiedsrichtergruppe Augsburg zieht den Hut und gratuliert Dir zu Deiner beispielhaften Schiedsrichterkarriere. „Glück auf" für Deinen weiteren Lebensweg!
Text: Kurt Ertl
Dieser Artikel erschien erstmals in der Zirbelnussausgabe Nr. 194 (Juli 2014)