Er ist auf dem Weg zu seiner ersten Bezirksligatagung, unser kürzlich gewählter Bezirks-Spielleiter Matthias Lingg, als er sich mit mir auf halber Strecke bei einem Abstecher in einem Café nahe der B2 zum Interview trifft. Neu ist nicht nur seine Funktion, sondern auch der Nachname. Matthias Hennicke heißt seit seiner Hochzeit vor ein paar Tagen nun Lingg. Lächelnd steigt er aus seinem kleinen Benziner und berichtet mit einem hoffnungsfrohen Durchatmen, dass in ein paar Tagen auch ein umweltfreundlicheres neues Auto zu seinem „Outfit“ gehören wird, ein Umstand, der bei den weiten Fahrten, die ein Bezirks-Spielleiter durch ganz Schwaben zurücklegt, vielleicht nicht ganz verkehrt ist.
Matthias ist in Berlin geboren, bedingt durch einen Umzug in Wien aufgewachsen, bevor er später aufgrund der beruflichen Entwicklung seiner Mutter im Allgäu landete. Es imponiert mir sehr, dass er nach dieser Odyssee von der Berliner Schnauze zum Wiener Schmäh und der Klettertour zur Überwindung der Höhenmeter des Stadt-Land-Gefälles klar feststellt, dass er nach dem Großstadtleben aus seiner jetzigen Heimat in Immenstadt nicht mehr wegwill. Na ja, wer verlässt schon freiwillig das Allgäu?
Gekickt hat der 43-Jährige immer gerne, im Verein aber erst relativ spät, nämlich mit 30 Jahren für den TV Waltenhofen. „Die haben damals Spieler gesucht und mich mussten sie eigentlich gar nicht überreden,“ erzählt er vom Beginn seiner Laufbahn. Bald war er Jugendtrainer, wollte deswegen eine Trainerlizenz erwerben, machte als Voraussetzung dazu die Ausbildung zum Schiedsrichter und … blieb an der Schiedsrichterei hängen. Gepfiffen hat er immer schon für den heimischen FC Immenstadt. Dass er Funktionär wurde, geht auf das Konto des damaligen Allgäuer Jugendspielleiters Fritz Born, der ihn als seinen Nachfolger installierte. Fast zehn Jahre übte Matthias das Amt eines Jugend-Spielgruppenleiters aus, bevor dann der mit Überraschungen gepflasterte Weg zum Bezirks-Spielleiter begann. Denn eigentlich war alles ganz anders geplant. Bezirks-Jugendleiter Helmut Brandmayr suchte einen Nachfolger für sein Amt und hatte gerade bei Matthias vorgesprochen, als Bezirks-Vorsitzender Christoph Kern noch besagte andere Idee hatte.
Diese „Steilvorlage“ nutze ich in einer kleinen Unterbrechung des Gedankenflusses zu der Frage, wie es ihm als frisch rekrutierten Bezirks-Spielleiter geht, wenn er in Christoph Kern seinen direkten Ansprechpartner und Bezirksvorsitzenden an das Präsidentenamt verliert. Er antwortet – wow!! – mit Goethes Faust: „Zwei Seelen schlagen ach in meiner Brust …!“ … will meinen, dass er (wie ich übrigens auch) unseren Bezirksvorsitzenden auch gerne behalten hätte, wohl aber davon überzeugt ist, dass dem BFV nichts Besseres passieren kann als ein Christoph Kern als Präsident.
Doch zurück zum Weg unseres Bezirks-Spielleiters und dem Dilemma, mehrere Personalentscheidungen gleichzeitig treffen zu müssen: Man muss wissen, dass es geeignete Spielleiter im Herrenbereich nicht gibt wie Sand am Meer und dass man bei der Besetzung dieser Personalien immer schon sowohl bei der Jugend als auch bei den Schiedsrichtern „gewildert“ hat. Die Begründung liegt zweifach auf der Hand: Wer erstens in anderen Bereichen des Fußballs schon Erfahrungen gesammelt hat, kann diese gut verwenden. Beispiele dafür sind neben dem Umgang mit der EDV, der Kenntnis von Satzung und Ordnungen auch die Organisation von Tagungen oder bereits bestehende Kontakte zu Vereinen und ihren Vertretern. Und zweitens findet man in unseren Vereinen Leute, die in die Verbandsarbeit einsteigen wollen, einfach leichter für die Bereiche der Jugend und der Schiedsrichter. Das Ende der Geschichte kennen wir: Matthias wurde am 22. April 2022 von den Delegierten des Bezirkstags Schwaben zum Bezirks-Spielleiter gewählt.
Angesprochen auf die Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt gibt unser studierter Betriebswirt ein klares Statement. Er kann seine Tätigkeit gut in den Berufsalltag integrieren und Anfragen zeitnah bearbeiten. Das beruht auf seiner Arbeit am PC und den Kenntnissen im digitalen Bereich. Als ich nach seinen Zielen und Plänen frage, hat der leitende Angestellte eines Automobilzulieferers fundierte und zeitgemäße Ansätze zu bieten. So hält er es für unerlässlich, nach dem Termindruck bezüglich der Spielgruppentagungen mit seinen Kreis-Spielleitern ausführliche Gespräche zu führen zum genaueren Kennenlernen und hinsichtlich der gemeinsamen Aufgaben. Er möchte Workshops mit Beteiligung aller Herren-Spielleiter zu aktuellen Problematiken anbieten und sieht dabei ebenfalls wieder die gewinnbringende Wirkung von Gesprächen. Dafür will er, falls nötig, auch digitale Instrumente wie Videokonferenzen nutzen, damit nicht weite Strecken viel Zeit kosten und so für Kontakte mehr Raum bleibt. Matthias hat vor, seine Mitarbeiter dort abzuholen, wo sie es wollen, und sie mitzunehmen, wenn sie Austausch oder auch Förderung wünschen.
Ob er sich das alles zutraut, frage ich. Die Antwort, die kommt, ist authentisch und deswegen glaube ich sie unbenommen, denn Matthias, der Anstrengungsbereitschaft, Durchhaltevermögen und Fleiß bereits anlässlich seines berufsbegleitenden Studiums im Alter von 40 Jahren unter Beweis gestellt hat, erzählt mir von seiner Einstellung zum Fußball und den damit verbundenen bisherigen Erlebnissen. „Ich habe dem Fußball im Hinblick auf meine persönliche Entwicklung viel zu verdanken und möchte Zeit, Kenntnisse und Motivation zurückgeben,“ sagt er und erzählt von seiner Ausbildung in Bezug auf Deeskalation, vom Führungskräfteseminar und von Veranstaltungen zur Personalentwicklung. Um in die gemeinsame Arbeit einzusteigen und teambildend vorzugehen, hat er eine Cloud erstellt, die für Spielleiter wichtige Infos enthält wie Formularvorlagen, Rechtsmittelbehelf, Teilnehmerlisten und Ähnliches. Und er will zur Weiterentwicklung des schwäbischen Spielleiterteams neben seinen eigenen auch die Stärken der anderen nutzen. Außerdem ist er seit kurzem Mitglied der „AG Spielordnung“ und kann sich so Informationen und Ratschläge für die Arbeit des Gremiums „auf dem kurzen Dienstweg“ holen.
Lobend äußert sich Matthias über seine bisherigen Erfahrungen mit den Bezirksliga-Vereinen. Das operative Geschäft und die Kontakte laufen bisher reibungslos. Er braucht natürlich erst eine Saison, um Arbeitsabläufe, organisatorische Gegebenheiten und Terminverpflichtungen kennenzulernen. Mit einem Grundsatz hat er sich jedenfalls an diesem denkwürdigen Mittwoch seiner ersten Bezirksliga- Tagung frei nach Songs von Peter Maffay oder den Flippers: „Kein Weg zu weit!“ schon mal vertraut gemacht, nämlich mit der Nord-Süd-Achse des Fußballbezirks Schwaben auf der Fahrt vom heimischen Immenstadt nach Neuburg an der Donau.
Auf gutes Gelingen, lieber H. Bezirks-Spielleiter!