Von Paul Burgmeier (mit freundlicher Genehmigung des Straubinger Tagblatts)
Grätsche, ein Schrei, dann ein lauter Pfiff. Schiedsrichter Rainer Garbas zeigt an: Zwei Minuten Zeitstrafe gegen den Neuner der SG Ruhstorf/Indling (Kreis Passau). Die Fans der SG schreien Garbas an: „Das ist doch lächerlich!“, „Schau doch mal hin, du Blinder!“ Auch der Spieler akzeptiert die Entscheidung nicht. Wütend tritt er gegen die Bande, diskutiert lautstark mit Garbas. Der zückt unbeeindruckt Gelb-Rot.
„Du brauchst heute nicht mehr spielen“, sagt Garbas zum Neuner und schickt ihn per Handzeichen vom Platz. „Ich lasse mir nichts mehr gefallen.“ Seit über 30 Jahren pfeift er Fußballspiele. Letzten Herbst leitete der Passauer sein 2 000. Spiel. „Der Rainer ist sehr wichtig für uns, er pfeift über 100 Spiele pro Saison“, sagt Simon Leebmann, der Obmann der Schiedsrichtergruppe Passau. Der Schiedsrichtergruppe fehlt es an Personal. „Wir pfeifen aus dem letzten Loch“, sagt Leebmann, der selbst um die 50 Spiele in der Saison leitet. „Ohne Idealisten wie den Rainer könnten wir zusperren.“ Rainer ist Kult im Passauer Amateurfußball.
Laut dem Obmann hängt der Personalmangel mit dem schlechten Image der Schiedsrichter zusammen. Aber auch Tätlichkeiten gegen die Unparteiischen könnten dabei eine Rolle spielen. Deutschlandweit gab es in den Spielzeiten 2018/19 und 2019/20 973 gewaltbedingte Spielabbrüche im Amateurfußball. Das ergab eine vom DFB beauftragte Studie. Bei 373 dieser Spiele, über 38 Prozent, sah sich der Unparteiische in akuter Gefahr. „Die Spieler sollten den gesunden Menschenverstand mit auf den Platz nehmen“, meint Leebmann. Tatsächliche Gewaltvorfälle passierten in Niederbayern aber selten. „Da sind wir ein Stück weit im Tal der Glückseligen.“ Die Schiris sähen sich dennoch fast jedes Spiel Beleidigungen von Spielern und Fans ausgesetzt.
Am Morgen des Turniers kommt Garbas eine Stunde vor Beginn in die Pockinger Sporthalle, er wird von Trainern und Spielern begrüßt. Man kennt sich. Neben Garbas ist auch der 18-jährige Felix Uhlig für das Hallenturnier eingeteilt. Er ist seit drei Jahren Schiedsrichter, konnte aber wegen Corona wenig Erfahrungen sammeln. Früher hat der Ortenburger selbst gekickt, meldete sich aber aus Interesse für einen Online-Schiedsrichterlehrgang an und entdeckte dabei sein neues Hobby. Uhlig pfeift das erste Spiel des Turniers. Das Auftaktspiel verläuft ruhig. „Die ersten Minuten pfeife ich etwas kleinlicher, um meine Linie zu etablieren“, sagt Uhlig. Die Spieler spielen fair, er muss wenig eingreifen.
Das nächste Spiel übernimmt Garbas. Die beiden wechseln sich ab. Garbas lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wer das Sagen auf dem Platz hat. Mit eindeutigen Handzeichen und klaren Foulentscheidungen diktiert er das Geschehen. Beim genauen Beobachten der Spieler geht der Passauer leicht gebeugt und streckt den Kopf etwas nach vorne. Am Bein hat er eine lange Narbe, erst vergangenes Jahr hat er ein neues Knie bekommen. Die OP hat er in die Corona-Pause gelegt, um möglichst wenig Spiele zu verpassen.
Garbas pfeift streng. Harte Fouls ahndet er konsequent mit Zwei-Minuten-Zeitstrafen, gerade in der Halle ein großer Vorteil für die Überzahlmannschaft. Garbas ist für seine harte Linie auf dem Platz bekannt. Bei einer Rangelei stellt er gerne mal beide Spieler vom Platz. „Zehn gegen zehn ist auch fair“, so der 60-Jährige. Neben dem Pfeifen will Garbas sich künftig auch auf die Ausbildung junger Schiedsrichter konzentrieren. „Felix ist noch ein sehr ruhiger Schiedsrichter“, sagt Garbas. Der 18-Jährige pfeift bisher hauptsächlich Jugendspiele. Um an den Herrenbereich herangeführt zu werden, fährt Uhlig als Linienrichter mit zu Kreis- und Bezirksligaspielen der Herren. Der Ortenburger weiß, dass er sich einiges von Garbas abschauen kann. „Rainer kommuniziert mit den Spielern auf eine klare Art. Seine Linie ist eindeutig, das ist beeindruckend. Bei ihm beschweren sich deutlich weniger Spieler“, sagt Uhlig.
Beim Turnier geht es in den letzten Gruppenspielen um den Einzug ins Halbfinale. Die Stimmung wird hektischer. Uhlig lässt mehr laufen als Garbas und wird prompt angemeckert. „Hand, Mann!“ Bad Füssings Zweier fordert aggressiv einen Strafstoß. Auch die Fans gehen mit. Doch Uhlig lässt weiterlaufen. Die Zuschauer blendet der 18-Jährige während des Spiels aus „Ich konzentriere mich ganz auf die Spieler“, sagt er.
Garbas zieht seine autoritäre Linie durch, er verteilt rigoros Zeitstrafen. „In der Halle brauchst du nicht anfangen mit Gelben Karten“, weiß Garbas. „Da lachen dich die Spieler nur aus!“, der 60-Jährige hat die Begegnungen unter Kontrolle. Auch bei der schwierigsten Szene des Tages, in der er die Gelb-Rote Karte zückt, gibt Garbas das Zepter nicht ab.
Die beiden Schiris haben unterschiedliche Arten, die Spiele zu leiten. Das zeigt auch die Turnierbilanz. 15 Zeitstrafen und eine Gelb-Rote Karte hat Garbas im Turnier vergeben. Uhlig ist mit nur „vier oder fünf“ Zeitstrafen ausgekommen. „Eine gute Spielleitung zeichnet sich durch Authentizität aus“, sagt Leebmann. „Manche Schiedsrichter sind Spielerversteher und manche eher Autoritäten.“ Beide Wege funktionieren. Wichtig sei es, dass man seiner Linie treu bleibt, dann könnten sich die Spieler darauf einstellen.
Das Fazit der Zuschauer zu den Schiedsrichtern fällt gemischt aus. „Zu denen hörst du von mir nichts Gutes!“ oder „Unterirdisch, eine Fehleinschätzung nach der anderen!“, heißt es aus dem Anhängerlager der SG Ruhrsdorf/Indling, die bereits in der Gruppenphase ausgeschieden ist. „Schiedsrichter werden oft als Ventil für das eigene Unvermögen genutzt“, sagt Leebmann. Dimitri Becker, dessen RSV Kirchham bis ins Halbfinale gekommen ist, bewertete die Schiedsrichterleistung hingegen als „für so ein Fußballturnier gut“.
Leebmann fordert mehr Verständnis für die Unparteiischen. „Ein Amateurfußballspiel bekommt einen Amateurschiedsrichter.“ Fehler könnten passieren. Die Beschwerden der Fans seien aber aus Schiedsrichtersicht nur ein kleiner Faktor, die Emotionen von außen gehörten dazu. Motzen und unsachliche Kritik von Trainern und Spielern seien das Problem. Damit ginge auch eine mangelnde Wertschätzung einher, erklärt Leebmann. Schiedsrichter meckern nicht, wenn ein Spieler einen Fehlpass spielt. Im Gegensatz sollten die Spieler aber auch nicht motzen, wenn der Schiri einen Freistoß übersieht. Doch die Schiris wissen sich zu helfen. „Mit Verwarnungen und neuerdings auch Zeitstrafen können wir da eine klare Kante zeigen“, so der Obmann. Aber nicht nur Schiris in den unteren Ligen können das Meckern un- terbinden. Garbas sieht den Profifußball in der Verantwortung, denn die Spieler dort seien die Vorbilder für die Amateurkicker. „Wenn es am Samstag in der Bundesliga zwei Rote Karten wegen Meckern gibt, dann ist am Sonntag bei mir in der Kreisklasse Ruhe!“
Um in Zukunft wieder mehr Sportler für den Schiedsrichterposten begeistern zu können, sollten die Spesen für die Schiris angepasst werden, meint Leebmann. Der Aufwand sei groß. „Ab der Kreisliga sind die Schiris insgesamt bis zu sieben Stunden unterwegs“, sagt Leebmann. Für 30 Euro sei das nicht lukrativ.
Nach dem Turnier setzen sich Uhlig und Garbas zusammen. Es gibt Leberkässemmeln und Spezi. Die Unparteiischen werden vom Veranstalter, der Dinos-Kinderhilfe Pocking, kulinarisch versorgt. Um Fußball geht es nicht, nach fast acht Stunden in der Sporthalle freuen sich beide über den Feierabend. Als sie aufgegessen haben, brechen die Schiris zügig auf. Schon am nächsten Tag leiten Uhlig und Garbas das nächste Turnier. Bei einer Sache können sich beide sicher sein: Dort warten schon die nächsten maulenden Spieler und brüllenden Fans.