Name
Thomas Stein
Alter / Spielklasse
40 Jahre / Schiedsrichter in der Regionalliga / Schiedsrichter-Assistent, Vierter Offizieller und AVAR in der Bundesliga
SR seit
1995
Was sind deine Hobbys?
Sport, Familie und Reisen
Welche Ziele als SR verfolgst du noch?
Nach meiner schweren Verletzung im vergangenen Juli beim Sommertrainingslager der Elite-Schiedsrichter möchte ich in erster Linie gesund und der Bundesliga möglichst lange erhalten bleiben.
Wie bist du zur Schiedsrichterei gekommen? Was hat dich daran fasziniert?
Diese Frage bekomme ich oft gestellt. Während der WM 1994 in den USA trugen die Schiedsrichter erstmals nicht nur schwarze, sondern auch farbige Trikots und sind mir damit im Fernsehen quasi ins Auge gesprungen. Ich war damals 12 Jahre jung, dem Fußball aber schon lange als Spieler verbunden. Der Abteilungsleiter meines Heimatvereins TSV Viktoria Homburg 1946 e. V. bekam seinerzeit mein Interesse am Job des Schiedsrichters mit und hat mich prompt bei einem Neulingslehrgang angemeldet, da mein Verein keinen einzigen Schiedsrichter zu verzeichnen hatte. Mit 13 Jahren habe ich dann meine Prüfung abgelegt und mit einer Sondergenehmigung meine ersten Spiele geleitet. Der Grundstein war damit gelegt. Ich habe diesen Schritt nie bereut.
Wie lautet dein Lebensmotto?
Man muss immer einmal mehr aufstehen als hinfallen. Das habe ich meinem Sohn schon beigebracht. Egal was kommen mag, es geht immer weiter!
Welches Vorbild als SR hast du?
Als ich damals mit dem Pfeifen anfing, war Dr. Markus Merk mein Vorbild. In jungen Jahren habe ich ihn sogar bei einem Privat-Turnier im Spessart, bei welchem er das Finale pfiff, kurz getroffen.
Vorbilder sind schön und gut. Ich kann aber nur jedem Nachwuchsschiedsrichter und jeder Nachwuchsschiedsrichterin den Tipp geben, dass man letztendlich seinen eigenen Weg gehen und seinen eigenen Stil finden muss, um authentisch zu bleiben. Das ist wichtiger als jede gut gemeinte aber schlechte Kopie. Spieler haben ein feines Gespür dafür, ob sich jemand verstellt oder er selbst ist. Aus unserer Gruppe fallen mir da spontan Holger Geis und Jimmy Genheimer ein. Das sind echte Typen mit Ecken und Kanten, aber überall geschätzt und gern gesehen.
Welche drei Wörter beschreiben dich am besten?
Es ist immer schwer, sich selbst zu charakterisieren. Man selbst hat ja stets den sogenannten „blinden Fleck“, das heißt, andere sehen einen womöglich völlig anders, als man sich selbst einschätzt. Aber zurück zur Frage: Korrekt, loyal, ehrgeizig.
Welche Anekdote/kuriose Erfahrung hast du beim Pfeifen erlebt?
Da fallen mir einige ein. Das ist ja das Großartige an der Schiedsrichterei! Am 17.10.2014 war ich als Assistent bei der Premiere des Freistoßsprays im deutschen Profifußball dabei. Robert Hartmann leitete die Partie VfL Bochum gegen Darmstadt 98 und sprayte in der siebten Minute erstmals die weiße Farbe auf das Bochumer Grün.
Außerdem kann ich mich gut an ein Spiel beim SV Friesen erinnern. Ich war damals Schiedsrichter in der Landesliga und stand zum Aufstieg in die Bayernliga an. Friesen spielte damals gegen Bamberg und gewann als Underdog das Derby sensationell gegen den Titelfavoriten nach einem rassigen Duell mit Platzverweis und Elfmeter. Der Beobachter war hochzufrieden und es war klar, dass der Traum von der Bayernliga zumindest für mich als Schiedsrichter wahr werden würde. Meine Assistenten hießen damals Jimmy Genheimer und Alexander Stumpf, die nach der Partie eine unglaubliche dritte Halbzeit im Sportheim hinlegten… Ich glaube, man erinnert sich noch heute an deren Gesangskünste: „Keiner wird es wagen, unseren SV Friesen zu schlagen!“, skandierten sie auf den Tischen stehend gemeinsam mit der Heimelf und verloren kurzeitig quasi ihre Neutralität. Die anschließende Heimfahrt zu vorangeschrittener Stunde mussten wir mehrfach unterbrechen. Es war damals eine überragende Saison, die wir als Team hingelegt und an diesem Tag quasi gekrönt haben. Der Spaß kam dabei auch nie zu kurz. Es war eine tollte Zeit, die ich nicht missen möchte.
Eine Geschichte fällt mir noch ein: Ich war damals Schiedsrichter in der Bayernliga. Assistent war seinerzeit Christian Tauscher. Als wir uns am vereinbarten Treffpunkt trafen, fiel ich quasi aus allen Wolken. Er kam mit einem Stoppelvollbart daher. Es war eine andere Zeit. Damals waren Anzug plus Krawatte zur Spielanreise in den Verbandsspielklassen noch obligatorisch. Ich habe Christian damals kurzerhand an einer Autobahnraststätte aussteigen lassen und ihm Rasierschaum und Nassrasierer in die Hand gedrückt. Kurze Zeit später stieg er dann vorschriftsgemäß ins Auto. Ihm Spiel war er dann besonders windschnittig… Diesen Ordnungsfimmel habe ich wahrscheinlich bei der Polizei angeeignet. Was ich auch überhaupt nicht ausstehen kann, sind dreckige Fußballschuhe. Da gab es auch immer Diskussionen, wenn einer in der Kabine seine Schlappen aus der Sporttasche holte, an denen noch der Dreck der Vorwoche hing. Christian ist dann übrigens auch beruflich bei der Polizei gelandet. Ich gehe daher davon aus, dass er mittlerweile genauso tickt… :)
Was war bisher dein größtes Highlight?
Das Endspiel um den DFL Supercup 2020 zwischen Bayern München und Borussia Dortmund, was gleichzeitig das Abschiedsspiel von Bibiana Steinhaus war, die ich drei Saisons lang begleiten durfte.
Ihre Premiere drei Jahre zuvor in der Bundesliga bei Hertha BSC gegen Werder Bremen war das Spiel mit dem größten Druck, den ich bisher gespürt habe. Die ganze Welt blickte damals auf uns bzw. in erster Linie auf sie, da erstmals eine Frau ein Spiel in der Bundesliga leitete. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie der Flieger damals abends wieder in Berlin abhob und ich platt in meinem Sitz saß, zufrieden und erleichtert, dass ihr Einstand in die Bundesliga geglückt war.
Hattest du schon mal Angst auf dem Platz? Bist du schon mal konkret bedroht worden? Wie bist du damit umgegangen?
Beim Ost-Derby am 05.04.2014 zwischen Energie Cottbus und Dynamo Dresden wurde ich nach Spielende beim Verlassen des Spielfeldes von einem Feuerzeug am Kopf getroffen und ging k. o. Ich trug eine kleine Platzwunde davon. Das war bis dato glücklicherweise der einzige gewaltsame Übergriff. Den Täter konnte die Polizei später ermitteln. Es war ein damals 16-jähriger, der mir auch über das Gericht einen Entschuldigungsbrief zukommen ließ. Da ich die Ermittlungsakte aber einsehen konnte, wusste ich, wie er sich nach der Tat mit dieser im Freundeskreis rühmte und habe nicht weiter darauf reagiert.
Bereuest du Entscheidungen, die du gepfiffen hast?
Bereuen finde ich in diesem Zusammenhang das falsche Wort. Als Schiedsrichter und Assistent trifft man seine Entscheidungen ja basierend auf seiner Wahrnehmung sowie nach bestem Wissen und Gewissen. 2015 übersah ich beim Bundesligaspiel zwischen Hannover 96 und TSG Hoffenheim in der ersten Minute eine klare Abseitsstellung von Anthony Modeste, der damals noch für Hoffenheim spielte. Kaltschnäuzig war Modeste „leider“ schon damals und erzielte das 0:1. Jeder im Stadion wusste natürlich nach den ersten Zeitlupen, dass meine Entscheidung grottenfalsch war. Es gab damals aber noch keinen Video-Assistenten, der die Szene hätte retten können. Hannover befand sich im Abstiegskampf und war nachvollziehbar entsprechend angefressen. Dieser Fehler hat mir gerade als damaliger Neuling in der Bundesliga schwer zu schaffen gemacht. Letztendlich bin ich aber gestärkt aus dieser kleinen Krise herausgekommen.
Wie kommst du mit dem ganzen Druck klar?
Wenn man momentan in die Welt schaut, weiß man doch, dass es viel wichtigere Dinge gibt als Fußball. Klar möchte auch ich immer auf höchstem Niveau performen, aber ich verkenne nicht, dass auch ich nur ein Mensch bin und folglich Fehler mache. Das ist schon die halbe Miete.
Sollte während des Spiels mal richtig Druck auf dem Kessel sein, versuche ich ruhig zu atmen und denke dabei an meine Familie. Das hilft, um den Puls zu senken.
Wie bereitest du dich auf ein Spiel vor?
Während ich Deine Fragen beantworte, sitze ich gerade im Zug Richtung Freiburg zum nächsten Spiel. Wir reisen also stets einen Tag vor einem Bundesligaspiel an. Unter der Woche beschäftigt man sich bereits mit den beiden Mannschaften, deren Spielweise, mit Spielertypen etc. Sei vorbereitet, aber nicht voreingenommen, lautet das Motto. Abends im Hotel mache ich noch eine kleine Trainingseinheit („Anschwitzen“), ehe es meistens zum gemeinsamen Essen geht. Frühs treffen wir uns dann wieder im Team zum Frühstück. Danach hat jeder Zeit für sich. Ich gehe dann je nach Anstoßzeit meistens spazieren oder locker laufen. Zwei Stunden vor Anpfiff müssen wir dann im Stadion sein und werden entsprechend frühzeitig am Hotel abgeholt. In der Kabine haben wir dann noch die Möglichkeit zur Physiotherapie, checken das Equipment, das über die Jahre immer mehr wurde, wärmen uns mit den Mannschaften auf und dann geht’s auch schon los.
Was würdest du einem Freund sagen, der überlegt, die SR-Prüfung abzulegen?
Ich selbst bereue es keine Sekunde, Schiedsrichter geworden zu sein. Dieser Job hat mich neben dem Elternhaus maßgeblich zu der Person gemacht, die ich heute bin, weil ich mich schon in jungen Jahren alleine gegen alle Widerstände und Spieler durchsetzen musste, die anfangs auch noch gut zwei Köpfe größer waren als ich. Das hat mich unglaublich geprägt. Man muss aber auch wissen, auf was man sich da einlässt. Jedem, der Interesse an der Pfeiferei hat, würde ich daher raten: Probiere es aus! Es ist eine tolle Aufgabe, die Spaß machen kann.
Das Interview führte Wolfgang Hartman - Bildrechte: DFB