"So viele Nachrichten bekomme ich sonst nie", sagt Georg Stötter, Fußball-Abteilungsleiter beim schwäbischen Klub TSV Ziemetshausen (Kreis Donau). Dass der 71-Jährige in den vergangenen Tagen so ein gefragter Mann war, hat seinen Ursprung in Bad Kötzting: In der hiesigen Spielbank wurden – fast schon traditionell – die Paarungen für die 1. BFV-Hauptrunde im bayerischen Toto-Pokal-Wettbewerb ausgelost. Und dabei sorgte Stöttner für ein echtes Novum: Er "verschmähte" den TSV 1860 München, der sonst als Wunschgegner sämtlicher kleiner Amateurklubs in Bayern gilt.
Zum Hintergrund: Schon seit vielen Jahren findet die Auslosung der 1. Toto-Pokal-Hauptrunde auf Verbandsebene des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) und von Partner LOTTO Bayern nach einem besonderen Prozedere statt. In einem Lostopf befinden sich die 22 Kreispokal-Sieger, im anderen alle anderen 42 Teilnehmer der ersten Runde, unter anderem aus der 3. Liga, der Regionalliga Bayern oder der Bayernliga. Gezogen wird zunächst nur aus dem Topf der 22 Außenseiter, die sich dann nacheinander ihre jeweiligen Gegner aus dem zweiten Topf aussuchen dürfen.
Wegen der Aussicht auf den größtmöglichen Besuch und damit in der Regel auch auf die höchstmögliche Einnahme hatte der erstgezogene Kreispokalsieger in den vergangenen Jahren bislang immer den früheren Bundes- und aktuellen Drittligisten TSV 1860 München mit seiner großen Fanbase als Wunschgegner ausgewählt. Schließlich gelten die Fans der Löwen, die bis 2004 der 1. Bundesliga und zuletzt bis 2017 der 2. Bundesliga angehörten, als besonders reisefreudig und sind außerdem im gesamten Bundesland verteilt.
Als diesmal der TSV Ziemetshausen als erster Klub von Joachim Buchwieser (Vize-Präsident LOTTO Bayern) gezogen wurde, entschied sich Georg Stötter als Vereinsvertreter jedoch nicht für die "Sechz'ger" – und auch nicht für andere attraktive Gegner wie etwa die beiden weiteren Drittligisten SpVgg Unterhaching und Titelverteidiger FC Ingolstadt 04 oder auch Traditionsklubs aus der Regionalliga Bayern wie den FC Würzburger Kickers, die SpVgg Bayreuth und den 1. FC Schweinfurt 05. Den „Zuschlag“ für ein Gastspiel in Ziemetshausen erhielt vielmehr der FC Memmingen, der gerade aus der Regionalliga in die Bayernliga Süd abgestiegen ist.
Damit sorgte Stötter im Saal zunächst für ungläubiges Staunen – und auf seinem Handy für den Eingang zahlloser Nachrichten. "Aus unserem Ort und Umkreis, aber sogar auch aus dem Nürnberger Raum haben sich einige Leute gemeldet", sagt der TSV-Abteilungsleiter und fügt noch mit einem Grinsen hinzu: "Viele von denen konnten uns überhaupt nicht verstehen und fragten, ob wir deppert wären?"
Dabei hatte Georg Stötter direkt bei der Auslosung, die vom Bayerischen Fußball-Verband (BFV) live auf dem verbandseigenen Youtube-Kanal übertragen wurde, eine einleuchtende Erklärung für seine überraschende Entscheidung parat. "Unser Stadion ist nicht so groß. Schon bei etwa 700 bis 800 Zuschauern wird es zu eng, da wir bei einem solchen Spiel wegen der Fangzäune alle Fans auf nur einer Seite unterbringen müssten", erklärte der Abteilungsleiter: "Daher können wir uns die ganz großen Gegner nicht aussuchen. Wir backen lieber kleinere Brötchen, weil wir unbedingt daheim spielen und das Spiel auch als Event feiern wollen. Daher haben wir uns für ein Derby entschieden. Memmingen ist nur 57 Kilometer von Ziemetshausen entfernt."
Dabei handelte Georg Stötter keineswegs im Alleingang. Obwohl vor der Auslosung die Chance gerade einmal bei etwas über 4,5 Prozent lag, dass der TSV Ziemetshausen als erster Kreispokal-Sieger gezogen wird, hatten sich die Verantwortlichen im Vorfeld für den Fall der Fälle bereits abgestimmt. "Dabei hat unsere Diskussion schnell zu diesem Ergebnis geführt. Da der TSV 1860 München sicherlich von mehr als 2000 Fans begleitet worden wäre, hätten wir das Spiel – wenn überhaupt – in einem fremden Stadion austragen müssen. Dadurch wäre der Reiz für uns fast völlig verloren gegangen."
Schließlich hat der Verein gerade in seine Platzanlage in den zurückliegenden Jahren viel investiert. Ein komplett neues Sportheim wurde errichtet, das Flutlicht durch eine LED-Anlage ersetzt und ein Rasenroboter für die optimale Pflege des Platzes angeschafft. „Dennoch sind wir als Dorfverein komplett schuldenfrei und wollen das auch bleiben“, sagt Georg Stötter nicht ohne Stolz.
Hinzu kommt: Sportlich sind die Chancen des Klubs aus der 3000-Seelen-Gemeinde Ziemetshausen am Dienstag, 6. August (ab 18.30 Uhr), gegen den Fünftligisten aus dem Allgäu sicherlich auch ein wenig höher, als es gegen die Münchner Löwen der Fall gewesen wäre. „Unserer Mannschaft liegen Derbys“, sagt Georg Stötter.
Selbstvertrauen sammelte das Team zuletzt auch reichlich. Nach dem durchaus überraschenden Double aus Kreisliga-Meisterschaft und Kreispokal-Sieg startete die Mannschaft von Trainer Benjamin König gerade erst mit einem 8:0-Auswärtserfolg bei der SpVgg Ellzee eindrucksvoll in die neue Pokalsaison und freut sich jetzt noch mehr auf das Duell mit dem FC Memmingen im Toto-Pokal. Zumal auch der Start in die neue Bezirksliga-Saison gelungen ist: Am ersten Spieltag holte Ziemetshausen beim VfR Neuburg/Donau, der 2017 übrigens die Löwen nicht ablehnte und damals in der 1. BFV-Hauptrunde vor rund 3200 Zuschauerinnen und Zuschauern mit 0:4 unterlag, einen 1:0-Sieg.
In den Genuss eines Heimspiels gegen die Löwen kommt nun also ein anderer Verein. Als zweiter Kreispokal-Sieger wurde nämlich der SSV Kasendorf (Kreisklasse Bamberg/Bayreuth/Kulmbach) aus dem Lostopf gezogen – und erfüllte sich prompt den Traum vom Wunschlos TSV 1860 München.
„Nach dem ersten Los dachte ich schon, dass die Spannung raus ist. Aber so ist das natürlich überragend für uns“, meinte Kasendorfs Vorsitzender Bastian Hugel, nachdem er sich bei Georg Stötter persönlich für die ungewöhnliche „Zurückhaltung“ bedankt hatte: „Wir hatten schon mal den 1. FC Nürnberg bei uns im Stadion zu Gast, da waren ungefähr 4500 Fans da. Da wollen wir wieder hin."
Ralf Debat/MSPW