Zum dritten Mal hat die „Dr. Markus und Sabine Merk-Stiftung“ gemeinsam mit dem DFB und der Sepp-Herberger-Stiftung die talentiertesten deutschen Nachwuchs-Schiedsrichter des Jahres ausgezeichnet. Unter den Preisträgern ist auch der bayerische Unparteiische Luca Schultze (Schiedsrichtergruppe München). Im Interview erklärt der mit 21 Jahren jüngste Preisträger, wie er mit dem rasanten Aufstieg durch die Ligen zurecht kommt – und ob er bei Cucurella auf den Punkt gedeutet hätte.
Herr Schultze, Sie durften im Mai das B-Junioren-Finale zwischen Borussia Dortmund und Bayer 04 Leverkusen pfeifen. Zwei große Vereine, Simon Rolfes war vor Ort, das Spiel lief live auf Sky. Hatten Sie ein wenig Herzschlag?
Luca Schultze: Ja, auf jeden Fall, das Spiel ist bis heute mein Karriere-Highlight. Das ganze Drumherum war unglaublich professionell. Direkt vor dem Auflaufen habe ich mich aber nur noch gefreut. Es war also ein leicht erhöhter Herzschlag aufgrund der Freude.
Was bedeutet Ihnen die heutige Auszeichnung?
Schultze: Unfassbar viel. Vor ein paar Tagen saßen wir in der Familie zusammen, und jemand fragte: 'Was wäre eigentlich gewesen, wenn du 2020 nicht die Schiedsrichterprüfung abgelegt hättest?' Die Aufgabe als Schiedsrichter jedenfalls macht mittlerweile einen großen Teil meines Lebens aus. Wie viele andere auch, hat mich die Schiedsrichterei stark geprägt, sie ist mir ans Herz gewachsen. Wenn man dann auch noch so einen Preis bekommt, freut einen das extrem. Ich bin Markus und Sabine Merk sehr dankbar, dass sie diesen Preis eingeführt haben. Verdient hätten den Preis gerade auch die Leute, die mich über die Jahre unterstützt haben. Und die, die am Wochenende in den unteren Ligen eine unfassbar gute Arbeit leisten.
Reden wir nicht über die anderen, reden wir über Sie. Bei Ihren Einsätzen in der Bayernliga fällt schon auf, dass Sie sich nicht scheuen, Gelb zu zeigen. Was zeichnet Sie als Schiedsrichter aus?
Schultze: Berechenbarkeit. Bekomme ich so auch von den Spielern und Trainern zurückgemeldet. Dazu eine gute Kommunikation. Als Schiedsrichter bin ich ein Teil des Sportes, so verstehe ich meine Aufgabe auch. Wir Schiedsrichter leben unsere Leidenschaft für den Fußball aus. Wenn wir also gemeinsam mit den Spielern die neunzig Minuten gut über die Bühne bringen, wirklich gemeinsam und auf Augenhöhe, dann ist das Ziel erreicht.
Suchen Sie aktiv das Gespräch mit den Spielern?
Schultze: Unbedingt. Ehrlich gesagt, ist das eine extrem wichtige Sache. Als Spieler wollte ich auch manche Entscheidung erklärt bekommen, ich wollte wissen, warum schon wieder gegen uns. Alles wird einfacher, wenn man kommuniziert. Warum ist es eine Rote und nicht nur eine Gelbe Karte – es hilft einfach, wenn der Schiri das erklärt.
Bei acht Einsätzen in der Bayernliga haben Sie 32 Gelbe Karten gezeigt, aber keine Rote.
Schultze: In letzter Zeit gab es bei mir tatsächlich wenige Feldverweise. Da wird unter Schiedsrichtern schon mal gefrotzelt, dabei habe ich nichts bewusst vermieden. Mit wachsender Erfahrung versteht man immer besser, wie man die Stimmung runtergekocht kriegt. Gelbe Karten, klar, ab und zu braucht man einfach eine, um ein Zeichen zu setzen.
Der Vorsitzende des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses, Udo Penßler-Beyer, hat die Laudatio gehalten und dabei beschrieben, was für eine Rakete Sie sind. Im Dezember 2021 hatten Sie Ihr erstes Spiel in der Kreisliga geleitet, keine drei Jahre später leiteten Sie Ihr erstes in der Bayernliga. Das Spiel wird schneller, man leitet ein Gespann, die Technik kommt dazu – welche Herausforderungen mussten Sie beim Aufstieg durch die Spielklassen meistern?
Schultze: Mit den höheren Ligen wird die Aufgabe des Schiedsrichters nicht schwieriger, sie verändert sich nur. Das Schiedsrichterteam kommt dazu, das macht vieles auf dem Platz leichter. Das Erlebnis der Schiedsrichterei wird wesentlich entspannter, man läuft nicht mehr allein, man läuft zu dritt auf dem Platz. Der Fußball wird schneller und attraktiver. Als Schiedsrichter muss man auf dem Niveau ein Verständnis für das Spiel entwickeln. Man muss die Partie im Interesse des Fußballs leiten.
Ist es als junger Schiedsrichter in den unteren Klassen schwieriger als jetzt in der Bayernliga?
Schultze: Das kann auf jeden Fall sein. Wenn man als junger Schiedsrichter erstmals in der Kreisliga auftaucht, herrscht schon eine gewisse Skepsis. Man hat null Erfahrung. Als Schiedsrichter ist man gut beraten, sich nicht zu überfordern und sich ganz auf die eigene Leistung zu fokussieren. Spieler sollten verstehen, dass wenn ein junger Schiedsrichter sich weniger mitteilt, es vielleicht nicht aus Arroganz passiert, sondern einfach weil man sich erstmal orientieren muss. In den höheren Klassen wissen die Spieler einfach, auch der Schiedsrichter hat sich vorbereitet, der gehört hier dazu. Das Vertrauen ist von Anfang an höher. Aber auch in den höheren Klassen passiert es, dass ein junger Schiedsrichter erstmal ausgetestet wird.
Wie werden Sie durch den Landesverband betreut?
Schultze: Gut. Der Bayerische Fußball-Verband hat vor zwei Jahren unter der Leitung von Josef Meier ein Nachwuchsleistungszentrum nur für Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter eingeführt. Dort werden wir professionell und innovativ gefördert. Man darf auch mal ein schlechtes Spiel haben. Das sind optimale Bedingungen für eine Selbstentwicklung.
Wie sportlich sind Sie selbst unterwegs?
Schultze: Ich mache jeden Tag Sport. Klar, viel laufen gehen, dazu auch Kraft und Stabilität. Nach dem Spiel achte ich darauf, gut zu regenerieren. Massage und Physiotherapie ist zumindest jede zweite Woche eine gute Idee.
Die Situation mit Jamal Musialas Schuss und der Hand von Marc Cucurella im EM-Viertelfinale Deutschland gegen Spanien, es stand 1:1 in der Verlängerung: Wie hätten Sie entschieden?
Schultze: Ehrlicherweise habe ich mit dem Schiedsrichter Anthony Taylor gelitten. Es gab schon Parameter, die für seine Entscheidung sprachen, keinen Elfmeter zu pfeifen. Ich persönlich hätte aber auf Strafstoß entschieden. Es ist ja kein Schuss aus unmittelbarer Nähe, und Cucurella hatte freien Blick auf den Ball.
Jetzt bringen wir Sie nochmal in Schwierigkeiten. Jonathan Tah gegen Hugo Ekitiké zuletzt in der Bundesliga, hätten Sie auf Strafstoß entschieden?
Schultze: Stellen Sie sich vor, der Zweikampf hätte sich, sagen wir, in der 80. Minute, im Mittelfeld ereignet, dann möchte da keiner einen Freistoß haben. Es war ein normaler Luftzweikampf mit einem kleinen Impuls. Wenn man überlegt, dass der Schiedsrichter sonst den größtmöglichen Einfluss genommen hätte, nämlich Strafstoß und eventuell Rot, dann kann ich den Nichtpfiff schon verstehen.
Sie sind 21 Jahre alt, einer der talentiertesten Schiedsrichter im Land und studieren BWL in München. Wann absolvieren Sie Ihre Bachelor-Prüfung?
Schultze: Ich bin im 7. Semester, Ende des Frühjahrs kommt die Prüfung.
Und wann der Master?
Schultze: Wenn alles klappt, fange ich nächsten Oktober mit dem Master an, zwei Jahre später kommt dann der Abschluss.
Und wann pfeifen Sie in der Bundesliga?
Schultze: (lacht) Erst mal weiß ich das nicht, ob das überhaupt irgendwann mal der Fall sein wird. Ich weiß, dass es mir aktuell unfassbar viel Spaß bereitet, hier in den Herrenligen unterwegs zu sein. Ich durfte viele neue Erkenntnisse gewinnen, dafür bin ich dankbar. Bisher hat Alles Spaß gemacht, jetzt freue ich mich auf die Zukunft.
Autor: Thomas Hackbarth/DFB