Gerade noch zum ersten Mal zu dritt in einem Team aktiv, jetzt aber wieder getrennt und teilweise sogar direkte Konkurrenten: So geht es Sascha (24), Marco (27) und Kevin Hingerl (30). Bis vor wenigen Tagen standen die drei Brüder in ihrer Geburtsstadt noch gemeinsam bei Türkgücü München in der Regionalliga Bayern unter Vertrag, waren auch mehrfach gleichzeitig im Einsatz.
Nach der Winterpause allerdings sind alle drei (wieder) für verschiedene Klubs am Ball, für Türkgücü kickt gra kein Hingerl mehr. BFV.de mit der ungewöhnlichen Familienstory.
"Wir hatten eigentlich schon immer den Gedanken, eines Tages gemeinsam bei einem Verein zu spielen", erzählt Sascha Hingerl, der Jüngste. Nachdem der defensive Mittelfeldspieler im Sommer 2022 vom SV Heimstetten zu Türkgücü gewechselt war und sich sein ältester Bruder im gleichen Transferfenster ebenfalls dem ehemaligen Drittligisten angeschlossen hatte, kam im zurückliegenden Sommer auch noch Marco dazu.
"Schon die erste gemeinsame Saison mit Kevin war sehr cool", sagt Sascha. "Dass dann ein Jahr später auch noch Marco dazugekommen war, hatte das noch einmal übertroffen. Leider haben wir es insgesamt nur fünfmal hinbekommen, tatsächlich auch in einem Pflichtspiel gleichzeitig auf dem Platz zu stehen. Man hat aber auch da gemerkt, dass wir ein super Verhältnis zueinander haben und genau wissen, wie der jeweils andere tickt und was dessen Spielweise auszeichnet."
Zentrale Hingerl-Achse: Verteidiger, Sechser, Zehner
Keine Überraschung: Bei der Verpflichtung des dritten Hingerl-Bruders hatten seine beiden Geschwister ein wenig die Finger im Spiel. "Wir haben Marcos Namen gegenüber den Verantwortlichen schon ein wenig in den Raum geworfen, weil wir wussten, dass er uns qualitativ weiterhelfen würde", berichtet Kevin Hingerl, der Älteste. "Er ist als Zehner oder Achter der am offensivsten ausgerichtete Spieler von uns."
Sascha ergänzt: "Kevin ist ein spielstarker Innenverteidiger, der mit drei, vier Zentimetern Körpergröße mehr wohl in einer noch höheren Liga spielen würde. Ich bin eher der klassische Sechser, der aber auch hin und wieder offensive Akzente setzt. Wir bilden auf dem Platz also eine zentrale Achse."
Dass alle Hingerls in einem Team standen, war bei Türkgücü München zum ersten Mal der Fall. Früher hatten Sascha, Marco und Kevin zwar schon mal für einige Jahre zur gleichen Zeit im Nachwuchsbereich der SpVgg Unterhaching gespielt, wegen des jeweiligen Altersunterschieds allerdings nie im gleichen Team. "Dafür standen wir sehr oft auf dem Bolzplatz und sind zu dritt gegen die anderen Kinder angetreten", erinnert sich Marco, der Mittlere.
Ausbildung in Haching, beim TSV 1860 und FC Bayern
Während Kevin bei der SpVgg Unterhaching später auch den Sprung zu den Profis schaffte, wurde Sascha später für längere Zeit beim TSV 1860 München ausgebildet, Marco lief für den Stadtkonkurrenten FC Bayern München auf. "Die Rivalität der Vereine war bei uns eigentlich nie ein Thema. Wir konnten den Fußball und das Persönliche immer gut trennen."
Im Herrenbereich angekommen, zog es Sascha im Sommer 2018 für ein Jahr in die Oberliga Niedersachsen zur VfV Borussia 06 Hildesheim. "Sportlich war die Saison für mich nicht ganz einfach, persönlich hat die Station aber meiner Entwicklung gutgetan", sagt er. Für einen noch längeren Zeitraum (SC Freiburg, SG Sonnenhof Großaspach, FC 08 Homburg und SSV Ulm 1846 Fußball) war Marco außerhalb von Bayern aktiv. "Umso mehr hatten wir uns gefreut, als er nach München zurückgekehrt war", so Sascha Hingerl.
Schließlich steht bei Familie bei allen hoch im Kurs. "Wenn wir uns persönlich sehen, verbringen wir viel Zeit mit Kevin und seinen Kindern, veranstalten Spieleabende oder spielen zum Beispiel Paddle-Tennis", beschreibt Marco. "Aber auch über die Distanz halten wir täglich Kontakt."
Marco zieht es erneut in Regionalliga Südwest
In Zukunft werden die Brüder auch wieder mehr auf Smartphones und Co. zurückgreifen müssen. Alle drei haben Türkgücü München verlassen. Der Klub hatte seinen Spielern aufgrund wirtschaftlicher Probleme für den Fall eines Wechselwunsches keine Steine in den Weg gelegt. Marco Hingerl zog es deshalb erneut in die Regionalliga Südwest zum KSV Hessen Kassel. Sascha blieb in der Bayern-Staffel und folgte seinem Kumpel Maximilian Berwein zum abstiegsbedrohten FC Memmingen, während Kevin zum Memminger Ligakonkurrenten und Schlusslicht TSV Buchbach zurückkehrte.
"Es ist schade, dass die Zeit bei Türkgücü so zu Ende gegangen ist, die zurückliegenden Monate waren mit Platz vier sehr erfolgreich", betont Sascha Hingerl. "Um aber mindestens bis zum Saisonende Planungssicherheit zu haben, haben wir uns alle für einen Wechsel entschieden." Erneut bei einem Verein zusammenzuspielen, war zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, hat sich aber nicht ergeben. "Dafür müssten auch sehr viele Faktoren passen. Die Situation von Vereinsseite ist da ganz entscheidend."
Brüder und Arbeitskollegen im Abstiegskampf
Eine besondere Situation ist dadurch vor allem für Sascha und Kevin entstanden. Beide sind jetzt nämlich sportliche Rivalen im Kampf um den Klassenverbleib. "Es wartet eine spannende Herausforderung und eine anspruchsvolle Aufgabe auf uns", sagt Sascha. "Sein" FC Memmingen weist als Aufsteiger in der Regionalliga Bayern derzeit acht Punkte Rückstand auf die sichere Zone auf, bis zu einem Relegationsplatz fehlen fünf Zähler. Der TSV Buchbach wiederum liegt noch einmal vier weitere Punkte hinter dem FCM zurück.
"Im besten Fall endet die Saison für uns beide mit dem Klassenverbleib", hofft er. "Sportlich ist es nun eine andere Situation. Es wird es noch mehr auf Leidenschaft und Intensität ankommen. Da wird wir meine Zeit beim SV Heimstetten helfen. Grundsätzlich bin ich fest davon überzeugt, dass wir es schaffen können, zur Not über die Relegation."
Neben dem Fußball arbeitet Sascha mit seinem ältesten Bruder in einem Zentrum für Physiotherapie zusammen, beide sind also auch Arbeitskollegen. Kevin nutzt diese Kenntnisse und fungiert deshalb beim TSV Buchbach in Doppelfunktion auch noch als Athletiktrainer. Sascha absolviert zusätzlich ein Fernstudium im Bereich Sportmanagement.
Ein Faktor für eine weitere Saison in der höchsten bayerischen Spielklasse könnte dabei auch das direkte Duell zwischen dem TSV Buchbach und dem FC Memmingen Mitte April sein. "Möglicherweise werde ich dann vom Trainerteam gefragt, welche Tipps und Hinweise ich wegen Kevin habe", erklärt Sascha mit einem Grinsen. Noch während seiner Zeit beim SV Heimstetten hatte er beide bisherigen Pflichtspielduelle mit seinem damals für den SV Wacker Burghausen aktiven Bruder gewonnen.
BFV/mspw